Dieter Villinger. Orange

25.03.2018 – 16.06.2018

Dieter Villinger ist Maler. Sein Thema ist die Farbe. Die bis heute gültige Entscheidung zur Monochromie trifft er bei einem Aufenthalt in New York 1978/79. Villinger konzentriert sich auf die elementare Bedingung von Malerei, das Aufbringen von (mindestens einer) Farbe auf einen Bildträger. Seine Leinwände sind ungrundiert, oft großformatig und nur annähernd quadratisch. In einem einzigen, oft stundenlangen Malvorgang, wird die Farbe mit einem großen Malbesen 'naß in naß' aufgetragen. Die körperliche Arbeit, die Bewegungen des Körpers, die eher flüssige oder feste Konsistenz der Farbmasse, alle diese zeitlichen und räumlichen Faktoren bilden sich unmittelbar auf der Bildfläche ab, geben der Farbe Struktur.

Villinger mischt seine Farben selbst, aus reinen Farbpigmenten mit geheimnisvoll klingenden Namen wie Hostapermviolett Paliogenviolett, Alizarin Krapplack, Irgazingelb oder Laque Solferino. Der jeweilige Farbenname wird dann zum Bildtitel. Dadurch neutralisiert er das Bild, negiert jegliche symbolische oder abbildhafte Verweisfunktion von Farbe, zeigt auf, dass diese nur für sich selbst steht. Dem Betrachter ist es überlassen, welche Assoziationen, Empfindungen oder Bedeutungen ein Bild bei ihm hervorruft.

Alles, was soeben beschrieben wurde, trifft auf die Kunst des Malers Dieter Villinger zu, doch nichts von all dem ist in der Ausstellung Dieter Villinger. Orange zu sehen. Keine Leinwand, keine Malerei, nichts annähernd Quadratisches. Auch die sonst von Villinger in seinen Einzelausstellungen genau ausbalancierte räumliche Konstellation von Bildern unterschiedlicher Farbwerte ist nicht vorhanden.

Gezeigt wird Papier, Tintenstrahlausdrucke und Rechtecke. Ein einziges Werk, allerdings eines mit 266 Teilen, und mit einemTitel, der bei jedem von uns sofort und unmittelbar ganz andere Bilder auftauchen läßt, der mit seiner Fülle an 'externen' Assoziationen für die konkrete Kunst fast einem Tabubruch gleichkommt und im Werk von Dieter Villinger eine absolute Ausnahme darstellt: Schluss mit Guantanamo.

2002 sieht Villinger, wie Milllionen andere auch, das berühmt gewordene Pressefoto der im X-Ray Camp von Guantanamo angekommenen, knieenden Gefangenen. Im ersten Moment ist er fasziniert vom Farbton der orangefarbenen Gefangenenoveralls, im zweiten gepackt vom Entsetzen über die Grausamkeit der Situation. Die Erinnerung bleibt und wird aktualisiert als der Künstler 2008 eine Einladung zur Teilnahme an einer Gruppen-ausstellung in Havanna erhält. Er kopiert ein Detail des Orange aus der historischen Fotovorlage und druckt diese Farbe auf 255 Din A4 Blätter aus, entsprechend der von ihm recherchierten, im Oktober 2008 in Guantanamo festgehaltenen Gefangenen. Dann läßt er mit fast leeren Patronen den Drucker weiterlaufen bis nur noch weiße Seiten erschienen, die Summe ist exakt 266.

Die Anweisung des Künstlers lautet: "Zu hängen sind die Blätter, an ihren Ecken auf die Wand genagelt, in Reihen neben- und übereinander als Block."

16,76 m² grelles Orange haben Wirkung, hinterlassen einen Eindruck, auch ohne Kenntnis des Titels. Und obwohl der Maler hier nicht gemalt hat, keine seltenen Pigmente gemischt hat, keine Spuren seiner Körperbewegungen auf der Leinwandfläche hinterlassen hat, trotz der technischen Anonymität von Tintenpatrone und Matrixdrucker, hat dieses Farbfeld Orange die gleiche Kraft und Radikalität wie die 'gemalten' monochromen Bilder von Dieter Villinger.

Auch die erste Einzelausstellung des Künstlers in der Stiftung für konkrete Kunst, im Sommer 2006, war nicht ohne Risiko. Sie stellte die Frage "was geschieht, wenn der Maler Dieter Villinger auf das Rot, Gelb oder Blau verzichtet, auf all das, was seine Bilder anscheinend ausmacht?"
Gezeigt wurden damals zum ersten (und vielleicht auch einzigen) Mal ausschließlich weiße Bilder. Im Rückblick nannte Villinger sie einmal "eine der wichtigsten, wenn nicht die wichtigste Ausstellung meines Lebens".

Nach dem Sonderfall Villinger Weiss nun also Villinger Orange, und da Dieter Villinger bis heute immer wieder neue Pigmente entdeckt und da die politische Weltlage immer unberechenbarer wird, können und wollen wir weitere riskante Ausstellungen mit ihm nicht ausschließen.

Text: Gabriele Kübler
Fotos: Dieter Villinger

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