Metzinger und die Folgen

15.03.2015 - 02.05.2015

Keine Kunstrichtung des 20.Jahrhunderts war so revolutionär und so folgenreich wie der Kubismus. Mit ihm beginnt die Kunst der Moderne, alle nachfolgenden Stilrichtungen, Gruppierungen und Ismen sind ohne die Bilderfindungen von Picasso und Braque, ohne die kubistische Demontage der Wirklichkeit nicht denkbar. Zu betonen ist allerdings, dass diese Entwicklung nicht allein kunstimmanent betrachtet werden darf, sondern nur in Verbindung und als Reaktion auf die 'Revolutionen' in Politik, Technik und Wissenschaft zu Beginn des 20.Jahrhunderts erklärbar ist.

Die Abkehr vom Abbild der äußeren Wirklichkeit, die Zerstörung des ästhetischen Scheins, die geometrische Auflösung der Gegenstandsform, der nicht-perspektivische Bildraum, die Instabilität des Betrachterstandpunkts, die Rhythmisierung der Bildfläche, der Eigenwert der Farben und Formen, die Verwendung von Alltagsgegenständen in der Collage-Technik – mit diesen kubistischen Verfahren fand zwischen 1907 und 1914 in Paris eine radikale Neudefinition von Malerei, ja von Kunst generell, statt.

Suprematismus, Konstruktivismus, De Stijl, Konkrete Kunst, Hard Edge, Op Art, Minimal Art, Concept Art, Monochrome Malerei und Radical Painting, die Gruppen ZERO, NUL oder Azimuth, sie alle stehen in direkter oder indirekter Folge der Kubisten.

Die Ausstellung Metzinger und die Folgen versucht, diese Zusammenhänge sichtbar zu machen. Aus 70 Jahren Kunstgeschichte (1912-1983) wurde aus den Sammlungen in der Stiftung eine Auswahl getroffen: 13 Werke von 13 Künstlern aus neun Ländern.

1912 veröffentlichen die französischen Maler Albert Gleizes und Jean Metzinger die erste theoretische Abhandlung zum Kubismus, "Du Cubisme", ein Buch welches, obgleich inhaltlich umstritten, bereits 1913 ins Englische und Russische übersetzt wurde und dadurch nicht nur in Frankreich, sondern in ganz Europa große Beachtung fand.

In exakt demselben Jahr, 1912, malt Jean Metzinger (1883-1956) das kubistische Bild Nu devant un miroir, und dieser Weibliche Akt vor Spiegel hängt nun in der Stiftung für konkrete Kunst und bildet den Ausgangs- und Bezugspunkt für die konkreten, konstruktiven, minimalistischen und monochromen Kunstwerke.

Zeitlich am nächsten steht dem kubistischen 'Vor-Bild' die N°3 Composition harmonique sur une surface déterminée et suivant la loi tonale de la 7ème de chacun des tons fondamentaux du spectre (1921), ein geradezu klassisches Beispiel der konkreten Kunst des Belgiers Georges Vantongerloo (1886-1965), Mitbegründer der De Stijl-Bewegung. Dieses Bild besitzt nicht nur den vielleicht längsten Werktitel der Kunstgeschichte, sondern illustriert in besonderer Weise ein physikalisches Gesetz: bei rascher Drehung der Bildfläche summieren sich die sieben Farbfelder zum neutralen Grau des Bildgrundes.

In direkter Nachbarschaft hierzu hängen die beiden identisch scheinenden neutral-grauen Bildtafeln Two Part Painting (1983) des Engländers Alan Charlton (1948), dessen Arbeiten der Minimal und Concept Art zugerechnet werden und der seit 1970 ausschließlich graue Bilder malt.

Nicht Grau, sondern Weiß ist die Farbe der Künstler, die in den 1950er und 60er Jahren den 'Nullpunkt' der Kunst proklamierten, die Künstler der Gruppen ZERO und NUL. Doch auch dieser 'totale Neuanfang' ist nicht ohne historisches Vorbild. Bereits 1915 hatte Kasimir Malewitsch sein Schwarzes Quadrat auf weißem Grund, welches in der Ausstellung 0.10 in Petrograd erstmals gezeigt wurde, zur "Null-Form" erklärt.

Und sein 1919 gemaltes Weißes Quadrat auf weißem Grund wurde zwangsläufig zum Maßstab für alle danach entstandenen weißen Bilder. Auch für die drei in der Stiftungsausstellung gezeigten weißen Werke, selbst wenn es bei diesen nicht mehr um zweidimensionale Malerei geht, sondern um Oberflächen- strukturen und die ständig wechselnde Reflexion des Lichts.

Wie im Nagelobjekt Reihung (1962) des ZERO-Künstlers Günther Uecker (1930) oder in den Arbeiten der niederländischen Mitglieder der Gruppe NUL, dem Sandbild Weiss (11.7.1962) von Herman de Vries (1931) oder dem Pappmaché-Relief R-70-68 (1970) von Jan J.Schoonhoven (1914-1994).

Inhaltlich wie persönlich eng verbunden mit ZERO und NUL waren die Künstler der Mailänder Galerie Azimuth (1959-1960), zu denen, als einzige Künstlerin, auch Dadamaino (1935-2004) zählte. In ihrem Volume a moduli sfasati (1960) werden mehrere Schichten von systematisch gelochten Plastikfolien leicht verschoben und so übereinandermontiert, dass die dahinter liegende Wand sichtbar wird. Der Raum im Bild ist nicht mehr 'dargestellt', sondern konkrete, dreidimensionale Realität. Nicht nur das traditionelle Tafelbild ist endgültig zerstört, sondern auch der 50 Jahre zuvor revolutionäre, nicht-perspektivische Bildraum der Kubisten.

Nicht ganz so radikal ist das Werk von Aurelie Nemours (1910-2005), einer der bekanntesten Vertreterinnen der 'Abstraction géométrique', wie die konkrete Kunst in Frankreich genannt wird. Sie stellt die visuelle Instabilität der Fläche mit malerischen Mitteln her, addiert in Rythme du millimètre, L'innombrable SB 47 (1977) nicht weniger als 17.731 kleine schwarze Vierecke auf weißem, quadratischen Grund. Und perfektioniert damit die von den Kubisten geforderte Rhythmisierung der Bildfläche. Dies erreicht auch, mit wiederum anderen Mitteln, der Schweizer Gottfried Honegger (1917), in dessen Tableau-Relief Z 842 (1980), einer von ihm entwickelten Zwischen-form von Malerei und Plastik, die monochrome Bildfläche durch die vielfache Lichtbrechung an den Kanten der auf die Leinwand geklebten Kartonelemente räumliche Tiefe und Spannung erhält.

Ein Sonderfall in dieser Ausstellung (wie in der Kunstgeschichte generell) ist die Arbeit des deutschen Künstlers Peter Roehr (1944-1968), der bereits im Alter von 23 Jahren verstarb. Seine Montagen entstehen aus dem "Prinzip der einfachen, unvariierten lückenlosen Reihung" industriell produzierter Gegenstände. In der Objektmontage OB-5 (1965) sind 25 quadratische Kupferfliesen auf einer quadratischen Holzplatte zu einem neutralen "Ordnungsgefüge" addiert. Die vom Künstler bestimmte "optimale Anzahl der Gegenstände" verwandelt die zusammengefügten Einzelteile in Elemente eines Ganzen, in ein ästhetisches Objekt.

Dass die Folgen des Kubismus nicht allein auf Europa beschränkt blieben, zeigen drei weitere Exponate in der Ausstellung: die schwarz-weißen Hard Edge- Kompositionen Blanc Dominant (1956) des Kanadiers Guido Molinari (1933-2004) und # 3 (1969) des Amerikaners John McLaughlin (1898-1976), wie auch Straight Bent Line X (1970) des amerikanischen Minimalisten Robert Mangold (1937).

Doch der europäische Einfluss auf die amerikanische Kunst, der noch einmal durch zahlreiche Künstler, die in den 1930er Jahren als Emigranten in die USA kamen, neue Impulse erhalten hatte, kehrt sich nach 1950 immer mehr um. Es entsteht eine Vielzahl spezifisch amerikanischer künstlerischer Ausdrucksformen wie Actionpainting, Pop-Art, Hard Edge Painting, Minimal Art, Concept Art oder Happening, sie werden von nun an zu den international bestimmenden Stilrichtungen. Und dies hat noch eine weitere Konsequenz: Paris, die Stadt in der die Kunst der Moderne entstand, verliert seinen Titel 'Welthauptstadt der Kunst' unwiederbringlich an New York.

GK 09.03.2015

Fotos: Manfred Wandel