arte concreta arte povera
Dadamaino Gastini Spagnulo Zorio

17.06.2012-22.12.2012

Viertausend Farbschattierungen auf vier Quadratmetern: La ricerca del colore von Dadamaino. Silbrig glänzendes Blei auf einer großen weißen Wand: Marco Gastini 41,76 m² di pittura. Tiefschwarzer Strombolisand, leuchtendes Kobaltblau, ein Kubus aus massiven Terrakottaplatten: Giuseppe Spagnulo: Antigone. Ein rotglühender Fünfzackstern aus elektrisch geladenem Draht, bei Berührung tödlich, Gilberto Zorio: Stella incandescente.


Ein selten gezeigter Schwerpunkt der Sammlung Manfred Wandel, Kunst der 1960er und 1970er Jahre aus Italien, ist das Thema der aktuellen Ausstellung in der Stiftung für konkrete Kunst. Viele der Exponate waren in den vergangenen 25 Jahren als Leihgaben in Museen in Berlin, Düsseldorf, Frankfurt, Genf, München, Paris, St.Gallen, Tel Aviv oder Turin ausgestellt, in der Stiftung werden sie teilweise zum ersten Mal präsentiert.
Vier Künstler einer Generation (geboren zwischen 1935 und 1944), in räumlicher Nähe (Mailand und Turin), teilweise freundschaftlich verbunden, deren Werke sich im Spannungsfeld von konkreter Kunst und Arte povera ('armer Kunst') verorten lassen, und die doch, unabhängig von diesen historischen Begriffen sehr eigene, individuelle Kunstformen entwickelt haben.


Wichtiger als die Benennung einer Kunstrichtung ist für die hier gezeigten Arbeiten die Zeit und der Ort ihrer Entstehung. Was 1968, wie fast überall in Westeuropa, mit Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg und mit Studentenunruhen begann, denen sich in Italien große Teile der Arbeiterbewegung anschlossen, das eskalierte in den 1970er Jahren in den Attentaten der links-extremen Brigate rosse (Roten Brigaden)
wie auch der rechts-extremen Neofaschisten. Wenn auch in unterschiedlicher Form und Intensität, so sind doch alle vier Künstler und ihre in dieser Zeit entstandenen Werke von den Ereignissen der 68er-Bewegung geprägt.




Dadamaino (1935-2004, Mailand)
Volume (1958). Radikale Leinwandschnitte zerstören den traditionellen Bildraum, geben den Blick frei auf die Wand dahinter. An den ovalen Schnittkanten entsteht ein realer Wechsel von Licht und Schatten, das Ende der Illusion. Zehn Jahre später Die Untersuchung der Farbe (La ricerca del colore), eine Rückkehr zur Malerei, aber nicht weniger radikal: seriell, theoretisch-systematisch werden 10 mal 10 Farben miteinander kombiniert. Abschattierte Monochromie und räumliche Labilität verbinden sich in der Serie der Cromorilievi (1975). 1976 zieht sich Dadamaino, angesichts der Eskalation der politischen Gewalt, in die 'innere Emigration' ihres Ateliers zurück. Über einen Zeitraum von drei Jahren (1976-1979) entsteht Alfabeto della mente (das Alphabet des Geistes), hohe Leinwandbahnen (Lettera), jede bedeckt mit der stetigen Wiederholung eines einzigen Zeichens.



Marco Gastini (1938, Turin)
Lavori (1967/71), zehn kleinformatige Werke, vom Künstler selbst nachträglich als eine Art 'Bildergalerie' zusammengestellt, zeigt in komprimierter Form die Ideen, Konzepte und Materialien von Gastinis Frühwerk. Wir sehen eine Sammlung von Fragmenten, instabile Räume und Grenzen, Material- schichtungen, Bleiflecken auf Plexiglas, Linien, zeichnerische Elemente.



41,76 m² di pittura (1967/2012), die große Wandarbeit welche der Künstler für die aktuelle Ausstellung noch einmal neu konzipiert hat, wie auch die beiden großformatigen Leinwände Acrilico N°11 (1973) und 5/1974 (1974), sie alle sind konsequente Fortführungen der Lavori.

Einen Schritt weiter geht das New York Project - 44 units (1977). Über 44 Leinwände in 14 Formaten zieht Gastini ein Raster unregelmäßiger, kleiner schwarzer und roter Striche. Eins führt zum anderen, über die Bildkanten hinaus, über die Wand hinaus in den Raum. Eine Vernetzung von Raum und Zeit in minimalistischer und doch sehr poetischer Form.



Giuseppe Spagnulo (1936, Mailand)
Cerchio spezzato (1975), ein zerbrochener Kreis, massives Eisen in labilem Gleichgewicht, zerstörte Geometrie, Nerofumo (1976), der verkohlte Abdruck einer glühenden Eisenplatte.




1968 hatte Spagnulo aktiv an den Protestbewegungen in Mailand teilgenommen, hatte dem Protest mit großen Eisenkonstruktionen im öffentlichen Raum eine künstlerische Form gegeben. Im Kontext der arte povera fand in den 70er Jahren eine Rückkehr zum 'Mythos' statt, die ursprüngliche, kultische Funktion der Kunst wird wiederentdeckt.




1980 entstehen die Hauptwerke Antigone und Die Wafffen des Achill, große Rauminstallationen, aus dem Jahr 1983 stammt Autoritratto N°2; die Materialien dieser Arbeiten entsprechen der archaischen Form und Thematik: Terrakotta, Eisen, Sand, Wachs, Kohle, Graphit.

Gilberto Zorio (1944, Turin)
Energie ist das zentrale Thema des Künstlers. Diese wird sichtbar gemacht durch chemische oder physikalische Prozesse, und durch Zeichen wie Stern und Speer. Elemente, die alle gleichermaßen verbunden sind mit Magie und Alchemie, wie auch mit Gefahr, Gewalt und Zerstörung.




Drei frühe Arbeiten sind in der Ausstellung zu sehen, allen gemeinsam ist die Verbindung von Pentagramm, dem magischen fünfzackigen Stern und Speer. In Schiefer geritzt, Stella (1973), über fünf Wachstafeln gradweise gedreht Cinque cere con rotazione (1974) und als rotglühende Draht- konstruktion mit realem Speer Stella incandescente (1973).





Die Ausstellung arte concreta arte povera zeigt Werke, die zu einer bestimmten Zeit (1960er/ 1970er Jahre), an einem bestimmten Ort (Norditalien), in einem besonderen kulturellen Klima entstanden sind. Und zugleich vereint diese Ausstellung Exponate, die zwar schon viel gereist sind, aber noch nie an einem Ort, in dieser Konzentration zu sehen waren.

GK 17.6.2012
Fotos: Steffen Schlichter, Manfred Wandel